Mittelstand in Not: Digitalisierung und Fachkräftemangel machen sowohl Arbeitgebern als auch ihren Beschäftigten zu schaffen. Und auch die Pandemie ging nicht spurlos an ihnen vorbei. Doch während manche Firmen trotz disruptiver Zeiten hochleistungsfähig bleiben, arbeiten andere bereits am Limit. Was sind die Gründe für diese extremen Verhältnisse im deutschen Mittelstand?
In Anbetracht der Entwicklungen und Veränderungen der vergangenen Jahre stehen deutsche Arbeitgeber unter wachsendem Druck. Als Reaktion darauf steigern sie ihr Arbeitstempo. Der eine oder andere gibt den Druck an die Mitarbeiter weiter. Insbesondere im Mittelstand nimmt die Beschleunigung zu. Anzeichen von Übermüdung bei den Angestellten werden häufig als fehlende Motivation gedeutet, was wiederum zu einer weiteren Erhöhung des Drucks führt und die Situation schließlich verschlimmert. Die Folge ist eine kollektive Erschöpfung in der Belegschaft.
Zeag Studie: Mittelstand an der Belastungsgrenze
Im Rahmen der Arbeitgeberbewertung TOP JOB befragte das Zentrum für Arbeitgeberattraktivität, zeag GmbH, das in enger Kooperation mit der Universität St. Gallen jedes Jahr eine repräsentative Trendstudie zum Status quo im Mittelstand und darüber hinaus veröffentlicht, insgesamt mehr als 10.000 Mitarbeitende und Führungskräfte aus mehr als 80 deutschen Unternehmen. Die aktuellen Ergebnisse zeigen, dass im Jahr 2022 ganze 25 Prozent der teilnehmenden Unternehmen an ihrer Belastungsgrenze gearbeitet haben.
Die Untersuchung konzentriert sich insbesondere auf den Vergleich zwischen den gesündesten und produktivsten Firmen – als Hochleistungsunternehmen bezeichnet – und solchen, die derzeit am schwächsten aufgestellt sind – Unternehmen am Limit genannt. Dabei werden die Merkmale deutlich, die ein modernes und leistungsstarkes Unternehmen charakterisieren. Zudem kommen wichtige Erkenntnisse zutage. So fühlen sich der Umfrage nach mehr als 80 Prozent der Mitarbeitenden in Organisationen am Limit in keinem guten Gesundheitszustand. Diese Unternehmen verzeichneten 11 Prozent mehr Abwesenheitstage als gesunde Hochleistungsfirmen. Ferner sei ihre Unternehmensleistung knapp ein Viertel geringer als die von gesunden Hochleistungsorganisationen. Sie seien 18 Prozent weniger produktiv und realisierten 13 Prozent weniger Wachstum.
Kollektive Erschöpfung und hohe Resignation im Mittelstand
Was die Mitarbeiterzufriedenheit angeht, ist laut der Befragung lediglich ein Drittel der Beschäftigten in Limit-Unternehmen mit seinem Arbeitgeber zufrieden. Der Arbeitsalltag ist von kollektiver Erschöpfung und zugleich hoher Resignation geprägt. Den erhöhten Anforderungen begegnen diese Firmen mit mehr Arbeit und Druck, verharren jedoch in alten Mustern. Notwendige Änderungen wie etwa neue, digitale Arbeitsweisen setzen sie zwar um. Doch sie scheitern aufgrund veralteter Führung und Kultur. Mit einem starken Arbeitskräftemangel kämpfen 62 Prozent der Unternehmen am Limit. Rund 90 Prozent der Mitarbeitenden dieser Unternehmen nehmen ihren Arbeitgeber als wenig attraktiv wahr.
Hingegen werden 75 Prozent der gesunden Hochleistungsunternehmen von ihren Mitarbeitenden als überaus attraktive Arbeitgeber wahrgenommen. Dies bestätigen die Studiendaten und sagen auch, dass nur 10 Prozent unter ihnen unter Arbeitskräftemangel leiden.
Der Erfolg der Unternehmen, die es schafften, disruptive Zeiten zu meistern, ist laut der Untersuchung ganz klar auf ihre Haltung zurückzuführen, die Herausforderungen als Chance für einen Wandel zu begreifen und sich entsprechend auszurichten. So profitierten sie von starkem Zusammenhalt, positivem Engagement und einer hohen Sinnerfüllung in der Belegschaft und im Unternehmen.
INFO: Beschleunigungsfalle vermeiden
Vielen Unternehmen droht in herausfordernden Zeiten die Gefahr, in die Beschleunigungsfalle zu geraten. Wie lässt sich dies vermeiden? Welche Faktoren spielen dabei eine Rolle?
- Sinnempfinden: Eine Arbeit wird von Angestellten häufig dann als sinnvoll empfunden, wenn sie bedeutsam und kohärent mit dem eigenen Lebensstil ist, zu bekannten und akzeptierten Unternehmenszielen beiträgt und Mitarbeitende im Rahmen der Tätigkeit Wertschätzung erfahren. In hohem Maße empfinden dies 75 Prozent der Beschäftigten bei gesunden Hochleistungsunternehmen. Lediglich 12 Prozent erreichen Unternehmen am Limit in dieser Kategorie.
- Führung: Mehr als 75 Prozent der gesunden Hochleistungsunternehmen etablierten im Jahr 2022 ein transformationales Führungsklima in ihren Unternehmen. In Unternehmen am Limit erleben 67 Prozent der Mitarbeitenden eine autoritäre Führung – häufig als Ergebnis eines Führungsvakuums. Beschäftigte nehmen ihre Führungskraft dort immer weniger wahr.
- Unternehmenskultur: Gesunde Hochleistungsunternehmen besitzen mit etwa 90 Prozent eine moderne Unternehmenskultur. Diversitätsmanagement fördert hier soziale, kulturelle und ethnische Vielfalt. Emotionalisierende HR-Maßnahmen stärken zusätzlich das Miteinander. Mitarbeitende erfahren außerdem gezielte Weiterentwicklung. 80 Prozent der Unternehmen am Limit weisen das Gegenteil auf.
- Leistungsfokussierung: Gesunde Hochleistungsunternehmen haben es geschafft, in den herausfordernden Zeiten den Leistungsdruck in ihrem Unternehmen gering zu halten und gleichzeitig positive Energien zu mobilisieren. Während von ihnen nur 38 Prozent mit Managementsystemen eine starke Leistungsorientierung fördern, sind es unter Unternehmen am Limit mehr als 75 Prozent. In Unternehmen am Limit erfährt 91 Prozent der Belegschaft einen überfordernden Leistungsdruck, der durch leistungszentrierte HR-Systeme befeuert wird.
Quelle: zeag-Studie 2023